Interview mit der Künstlerin Miriam Vlaming

Von Claudia Simone Hoff




[Copyright: M. Vlaming]


Aus: Ausstellungskatalog „Miriam Vlaming, Gemälde 1998 bis 2002“. Interview mit der Künstlerin. Berlin 2002 [dort gekürzte Fassung].

Miriam Vlaming studierte von 1994 bis 1999 in der Fachklasse von Prof. Arno Rink an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und war dort von 1999 bis 2001 Meisterschülerin. Sie lebt und arbeitet in Rotterdam und Berlin.

Welche Bedeutung hat Farbe für Dich? Ich habe den Eindruck, dass die kräftige Farbgebung Deiner Gemälde manchmal in Kontrast zum Inhalt steht.

Für mich ist es kein Widerspruch, dass ein eher schwieriges Thema mit einer „fröhlichen“ Farbgebung in Erscheinung tritt. Gerade dieser Kontrast macht für mich die Spannung eines Bildes aus. Das Zusammenspiel zwischen Farbgebung und figürlicher Darstellung, die noch Freiraum zur Imagination des Betrachters lässt, machen meine Bilder aus. Ich mische Farben, experimentiere mit Farbschichten. Mich interessieren Zwischentöne. Formal wie inhaltlich.

Du arbeitest ausschließlich in Ei-Tempera auf Leinwand. Warum?

Ich mische die Farbe selbst an, damit ich ihre Konsistenz und das Mischverhältnis bestimmen kann. Das ist ursprünglicher als die Farbe fertig im Geschäft zu kaufen. Ei-Tempera war das Malmittel der alten Meister. Sie ist kreidig und glänzt nicht. Das mag ich. Der Prozess des Anrührens der Farbe ist eine Vorlaufphase, in der ich bereits ein Gefühl für das entstehende Bild bekomme. Es ist ein Prozess des Sich-Sammelns. Ich betreibe sozusagen „Archäologie“ in meinen Bildern – bewusstes Herunterwaschen und Abreiben mit Schwämmen, Bürsten und Händen, trocknen lassen, sehen, was an Spuren vorhanden ist. Ich arbeite transparent mit vielen übereinandergelegten Farbschichten. Der Malgrund ist weitgehend abstrakt, darüber setze ich die Figuren. Im Laufe des Malprozesses nähern sich diese zwei Ebenen an, verschwimmen ineinander, bilden Räumlichkeit ohne räumlich konstruierte Perspektive.

Auf einigen Deiner Arbeiten treten Textsegmente auf. Sind diese inhaltlich oder formal begründet?

Sowohl als auch. Inhaltlich erzeugen sie oft einen Widerspruch oder eine Weiterführung des Bildes. Es kann sich dabei um literarische Zitate z. B. aus Märchen, Logos oder selbst ausgedachte Textsegmente handeln. Das Textfeld hat aber auch immer eine bildkompositorische Bedeutung. Es hält das Bild zusammen. Und gibt Gewicht, wo Gewicht notwendig ist. Ich spiele auch mit typographischen Elementen, verwende verschiedene Schriften und Schriftgrößen, experimentiere mit dem Auftrag der Schrift z. B. mit Pinseln, Stempeln und selbstkonstruierten Schablonen.

Deine Arbeit ist Gegenstands- und Figurbezogen. Kannst Du Dir vorstellen, auch abstrakt zu arbeiten?

Für mich steht der Mensch im Mittelpunkt meines Schaffens. Weniger der akademische Aspekt interessiert mich, sondern seine Kultur, seine Sozialisation. Der Mensch als Archetyp. Welche Faktoren, gesellschaftlich und individuell, prägen den Menschen? Welche Träume haben wir? Welchen Veränderungen sind wir im Lauf unseres Lebens ausgesetzt? Das sind Fragen, die mich interessieren. Mir ist es wichtig, dass ich mir meine kindlichen Träume erhalte, sie in meine Bilder mit hinein nehme. Manchmal betrachte ich die Dinge durch eine Art „Milchglas“, versuche mich ihnen von außen anzunähern und sie neu zu betrachten. Märchen, Kinder-Spiele, aber auch Werbung inspirieren mich. Alles Visuelle fließt in meine Arbeit ein. Ich kann mir nicht vorstellen ausschließlich abstrakt zu arbeiten. Ich hätte immer das Gefühl, dass etwas fehlen würde. Meine Bildhintergründe hingegen sind allerdings oft abstrakt. Ich schaffe auf meinen Bildern Räume für die Figuren. Meine gemalten Figuren sind deshalb oft sehr groß, denn sie sollen den Betrachter emotional berühren und fast körperlich ergreifen. Wenn mir dieser Balanceakt gelingt, dann bin ich glücklich.

Mir scheint, Deine Bilder haben oft etwas Hintergründiges, fast Unheimliches – sozusagen eine zweite Ebene hinter der vertrauten Welt. Die diese auch in Frage stellt.

Genau. Es sind die Brüche und Widersprüche, die mich interessieren. Ich versuche, einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Egal ob im privaten oder öffentlichen Bereich. Es kann sich dabei um ganz banale, um alltägliche Dinge handeln. Eine Bewegung, eine ungewöhnliche Handtasche in der U-Bahn etc. Mich interessiert nur der Moment. Nachdem oder bevor etwas passiert ist. Das sind oft ganz kleine Momentaufnahmen, nicht die große Historie. Die Phantasie des Betrachters soll die Geschichte zu Ende spinnen. Meine Figuren sind „Spielfiguren“, die dem Betrachter aus anderen Zusammenhängen, z. B. Märchen, Mythen, Rituale und Spielen, bekannt sind.

Du hast drei Monate in Kenia verbracht. Welche Auswirkungen hatte dieser Arbeitsaufenthalt auf Deine künstlerische Sprache?

Kenia war eine Herausforderung in meinem Leben. Geistig und künstlerisch. Diese von unserem Leben so unterschiedliche und fremde Welt war für mich schwer zu begreifen. Dabei habe ich gemerkt, wie ich meinen eigenen Klischees verfallen bin. Die westlichen Illusionen und Traumvorstellungen von Afrika fand ich für mich nicht bestätigt. Ich habe klischeehafte Prospekte und Postkarten gesammelt, für Touristen verkleidete Massai photographiert – versucht diese Illusionen zu bündeln. Vor Ort habe ich nur skizziert, während ich zuhause begonnen habe zu malen. Das Misstrauen, das sich auf vielen meiner Arbeiten manifestiert, kam wie von selbst. In meinen Gedanken hatten sich neben der vordergründigen Exotik Kenias auch Armut, Krankheit und Korruption festgesetzt. Das prägt meine Arbeiten dieser Zeit. Beeindruckt haben mich vor allem die Farben und Muster des Landes, die es so bei uns nicht gibt. Sie sind in meine damaligen Arbeiten eingeflossen, üben jetzt aber keinen entscheidenden Einfluss mehr auf sie aus.

Welche Künstler schätzt Du besonders und weshalb?

Die in Amsterdam lebende, aus Südafrika stammende Malerin Marlene Dumas. Sie ist wie ich figürliche Malerin. Inhaltlich fasziniert mich an ihr die Direktheit, mit der sie ihre Themen bearbeitet. Dazu gehören Märchen, Auseinandersetzung mit Begriffen wie Schönheit, Heiligkeit und Pornographie. Das sind auch Themen, die mich interessieren. Formal mag ich das Malerische ihrer Arbeiten. Sie ist eine Malerin mit einer starken Aussage. Bei Andy Warhol fasziniert mich das Spiel mit der Reproduzierbarkeit eines Kunstwerks. Werbeästhetik spielt auch auf einigen meiner Bilder eine wichtige Rolle. Und natürlich Picasso. Er hat fast jeden Stil dieses Jahrhunderts mitgeprägt. Außerdem schätze ich ihn als hervorragenden Zeichner. Ebenso wie Egon Schiele.

Du bist vor kurzem nach Berlin gezogen. Die Stadt gilt als Kunst- und Kulturmetropole Deutschlands. Welchen Eindruck hast Du?

Berlin ist nicht die Stadt meiner Träume, aber es gibt hier ein sehr großes Angebot an Galerien und renommierten Galeristen sowie an Museen und kulturellen Stätten im Allgemeinen. Allerdings ist diese Quantität nicht immer mit Qualität gleichzusetzen. Ich finde es schwerer als in Leipzig mich auf meine Arbeit als Malerin zu konzentrieren. Überall wird man abgelenkt. Durch die Fülle des Angebots, der Menschen, der Zerstreuungen. Aber gleichzeitig liegt darin auch ein großes Potential. Man öffnet sich, geht offener und neugieriger durch die Stadt, erlebt Neues. Der Rückzug des Künstlers in sein Atelier, in seine inneren Welten wird durch die äußeren Umstände stärker erlebt. Berlin ist eine Stadt der Hektik. Ich habe das Gefühl, dass sich diese Hektik auch auf meine Bilder auswirkt. So habe ich beispielsweise eine brennende Alice im Wunderland gemalt. Im Unterschied dazu sind in letzter Zeit aber auch sehr kontemplative, fast surreale Arbeiten entstanden. Vielleicht bilden sie das Pendant zur Hektik der Großstadt. Berlin inspiriert mich.

Miriam, ich danke Dir für das Gespräch.

[Das Interview mit Miriam Vlaming wurde am 13.11.2002 von Claudia Simone Hoff, Kunsthistorikerin, in Berlin geführt.]

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